Jens Kotulla

Auszüge aus dem Büchlein „LYRIK der acht Schmerzen“, von Rolf G. Ruck und Jens Kotulla, erschienen im Eigenverlag („Schöne Momente Verlag, Mannheim“), 2019. 90 Seiten, gebunden

Der Buchtitel ist angelehnt an das historische Genre der chinesischen Dichtkunst mit dem Titel „Lyrik der sieben Schmerzen“.
In solch einem Gedicht dramatisiert der Dichter wie die fünf Körpersinne angegriffen werden, überlagert von der doppelten seelischen Drangsal der Ungerechtigkeit und Bitterkeit.
Der achte Schmerz ist die Grundfärbung und Summe der anderen sieben und wird verursacht durch die Missachtung von Ästhetik und Ethik.
Die Ich-Form im Gedicht ist ein lyrisches Ich; es meint nicht in allen Fällen das persönliche Ich des Schreibenden.
Die Lyrikform der Elegie (Klagelied) ist immer aktuell.

Meine Aphorismen und Gedichte entstanden in Anlehnung an die Baumsprüche von Johannes Hemleben und Rudolf Steiners Nebenübungen. Mit ihren Bezügen zur Sprache, zur Kunst, zum Kosmos und zum eigenen Denken, Fühlen und Wollen spiegeln sie mir die Erfahrungen des alltäglichen Ringens, ein Mensch zu werden.
(s. auch meine Übungsbroschüre „Die Wochentage“, Mannheim, 3. Auflage 2016)

Neujahr
Donner und Salven
wie vom Maschinengewehr
In Lärm Qualm und Nebel
versinken die Gefühlsknoten aus
müder Zukunftsangst
und banger Zukunftsfreude
geübter Resignation
und erregenden Ohnmachtsphantasien

Fertige Antworten geben Halt
Fragen
nur kurz aufgeblitzt
bald in Champagner ertränkt
Was war
Was habe ich gelernt
Was folgt daraus
Worum geht es
wirklich
Bewahre im Herzen
den gemeinsamen Atemzug
den geschenkten Dankesblick
den geteilten Freudenmoment
Und lass sie ausstrahlen
in das neue Ja
für den Nächsten
wie dich selbst

HÖCHSTE INSTANZ

Des Menschen würde
hätte, wäre und könnte
ist sowas von antastbar

Das Edle in dir aber
bleibt
ewig unerreichbar

GEMEINSINN

Wovon wollen wir uns leiten lassen
von Launen und Moden
spontanen Gefühlen

oder wollen wir gemeinsam pflegen
das Vertrauen in einen klügeren Willen

Glaub mir
dieser Wechsel der Blickrichtung
macht den Unterschied

GER(N)ECHTIGKEIT

Vermutete Annahmen
erdachte Behauptungen
erfreuen sich großer Beliebigkeit
sie führen zu falschen Entscheidungen
unvermessen an der Wirklichkeit

Besser die Seelen tauchen nicht ein
in bedeutungsloses Handeln
Um gedankenloses Sein
in erfüllten Sinn zu wandeln

Ist der Beschluss wirksam bewusst
haben wir alle Gründe gefunden
und von allen Möglichkeiten gewusst:

Dieser Weg kann uns gesunden

PEGIDA

Des Wahnsinns fette Beute
ächzt unter der eigenen
Bedeutungsschwere

Gewogen
und als zu leicht empfunden
– das war einmal

Jedes Pfund zählt
warum nicht auch bei den anderen

Die Menschenrechte gleich gewichtet
kommst du wieder ins Gleichgewicht

DILEMMA

Der Zukunft
kann ich nicht entkommen
sie nähert sich mir von zwei Seiten

sie läuft auf mich zu
und ist hinter mir her

BEDINGUNGSLOSE LIEBE

Grenzenlos urteilslos
Fraglos kritiklos
Auf Lass los geht´s los

MIT–LEID

Gefühle werden zu Bildern
Bilder werden zu Vorstellungen
Vorstellungen zu Gedanken
Gedanken zu Willensimpulsen

Lerne zu unterscheiden
Wesentliches vom Unwesentlichen
Ewiges vom Vergänglichen
Wahrheit von Meinung

Wenn ich dir zuhöre
werde ich innerlich ganz still
verzichte
auf Ablehnung oder Zustimmung
und lerne so
mit dir zu lieben
mit dir zu leiden

Neo

Ausrasierte Schläfen Uppercut
Strenger Scheitel
Mimik nur
unterhalb der Nase

Körperpanzer eng gefügt
soldatisch harte Muskeln
Von Gefühlen bleibt nur Wut
alles andere wird zur Phrase

Gefährliches Gelächter
tödlich-toxische Männlichkeit
Ohnmacht fantasiert sich Stärke
zu Hinterlist und Mord bereit

Zwangsjacke

Beweg dich nicht
Dann spürst du ihn nicht
den Zwang ein anderer zu sein

Übe heimlich
von außen ist nichts zu sehen
Mit viel Geduld
lösen sich die Nähte

Dann endlich spürst du
die Bewegung der Luft
den Wechsel des Lichts
die Wärme der Erde